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Die „Bauch-Hirn-Achse“

Wer hat hier das Sagen?
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Wie oft hat man selbst schon „Schmetterlinge im Bauch“ gehabt oder etwas „aus dem Bauch heraus“ entschieden? Das „Bauchhirn“, das damit assoziiert wird, ist der Darm, der bei uns Menschen über rund 200 Millionen Nervenzellen verfügt. Nur ein lebensnotwendiges Organ kann sich so viele Nervenzellen leisten, schließlich benötigen sie fast zehnmal mehr Energie als alle anderen Körperzellen! Im Laufe eines 75-jährigen Lebens wandern mehr als 30 Tonnen feste Nahrung und 50.000 Liter Flüssigkeit durch dieses sensible System. Der Darm muss dabei Millionen von chemischen Substanzen analysieren und ebenso viele Gifte neutralisieren und unzählige Gefahren meistern – der Darm ist unser größtes Immunorgan.

Üblicherweise werden Organfunktionen über ihnen zugehörige Hirnregionen gesteuert. So gibt es zum Beispiel ein Herz-Kreislauf-Zentrum oder ein Atemzentrum. Ein vergleichbar spezialisiertes Hirnareal existiert für den Darm aber nicht. Das „Bauchhirn“ selbst, also das Nervensystem des Darms, kann – anders als sein Name vielleicht vermuten lässt – weder denken noch bewusst entscheiden, hat aber trotzdem großen Einfluss auf unsere Emotionen und Entscheidungen. Dies verdanken wir einerseits den Nervensträngen, die Darm und Gehirn direkt miteinander verbinden. Entlang dieser sogenannten „Darm-Hirn-Achse“ werden ständig Informationen zum Gehirn geschickt – allerdings nur sehr wenige vom Gehirn zum Darm. Erst vor kurzem stellten Forscher fest, dass weitaus mehr Nervenstränge vom Bauch ins Gehirn führen als umgekehrt: 90 Prozent der Verbindungen verlaufen von unten nach oben. Auf der anderen Seite spielen auch die sich im Darm befindlichen Bakterien eine sehr wichtige Rolle. Diese, so meinen Forscher, ist allerdings bisher vielleicht zu zehn Prozent wirklich erforscht.

„Alarmsignale“ wie Übelkeit, Erbrechen oder Schmerzen
Wir nehmen Botschaften, die unser Darm „nach oben“ schickt nur bedingt wahr, meist erst dann, wenn der Bauch sich mit „Alarmsignalen“ wie Übelkeit, Erbrechen oder Schmerzen meldet. Diese können durch infektiöse oder emotionale Stresssituationen hervorgerufen werden. Wenn die Zentrale im Kopf also bewusst oder unbewusst Anspannung und Furcht wahrnimmt, dann ruft sie den Satelliten im Bauch zu hilfe. Über spezialisierte Immunzellen im Darm werden Entzündungsstoffe wie beispielsweise Histamin ausgeschüttet, die Nervenzellen im Verdauungskanal werden sensibilisiert und aktiviert und veranlassen Muskelzellen, sich zusammenzuziehen. Krämpfe oder Durchfall sind die Folge. Die allgemeine Alarmstimmung im „Darmhirn“ wird dem „Kopfhirn“ mitgeteilt und das funkt zurück nach unten…und so weiter. Einer von tausenden von Kreisläufen, die vor allem bei Dauerangst und „high level stress“ chronisch werden können.

Spannend ist dabei auch, dass je tiefer die Bereiche im Verdauungstrakt liegen, die Herrschaft des „Kopfhirns“ umso schwächer wird. Mund, Teile der Speiseröhre und Magen lassen sich teilweise noch etwas von oben „sagen“. Doch hinter dem Magenausgang übernimmt ein anderes Organ die Regie: Was, wo und wann dort passiert, entscheidet das „Bauchhirn“. Erst am allerletzten Ende, am Rektum und Anus, regiert das menschliche Gehirn mit bewusster Steuerung wieder mit.

Darm und Psyche
Hinzu kommt, dass die im Darm lebenden Bakterien mit aller Wahrscheinlichkeit auch auf unsere Psyche wirken. Hirnforscher glauben, dass es keine Hirnfunktion geben dürfte, die nicht von den Bakterien der Darms beeinflusst wird. So könnte die unterschiedliche Zusammensetzung der Darmflora der Grund dafür sein, dass mancher Mensch melancholisch und ein anderer extrovertiert ist. Dieser Effekt soll sogar soweit gehen, dass Bakterien Mitverursacher von schweren psychischen Erkrankungen sein können. Das Reizdarmsyndrom lieferte Wissenschaftlern vor einigen Jahren die ersten Hinweise auf die Darm-Kopf-Kommunikation. Betroffene klagen dabei über Durchfälle, Blähungen, Verstopfung und quälende Bauchschmerzen. Auffällig dabei ist, dass bestimmte Mikroben häufiger, andere seltener als bei gesunden Menschen vorzufinden sind. Gleichzeitig entwickeln viele Reizdarm-Patienten auch krankhafte Angstzustände, großen Stress oder Depressionen. Darm, Mikrobiom (also die Gesamtheit unserer mikrobiellen Mitbewohner) und Psyche hängen also definitiv zusammen.

Mikroorganismen steuern mit mithilfe von Botenstoffen
Das „Bauchhirn“ muss zudem noch allerlei Informationen aus der Darmwand selbst sinnvoll verarbeiten, um die Darmfunktionen sowohl lokal steuern als auch den Informationsfluss zum Gehirn anpassen zu können. Unsere Darmbakterien interagieren dabei mit unserem Darm und übernehmen dabei Schlüsselrollen. Diese Lebensgemeinschaft zwischen Menschen und Bakterien ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Sie senden bestimmte Botenstoffe, die dann zum Beispiel Immunzellen aktivieren. Die Stoffwechselprodukte dieser Mikroben zirkulieren mitunter im gesamten Körper und stimulieren dabei auch Neuronenenden (Enden von Nervenzellverbindungen) und darüber das Gehirn. Welche dieser Kleinstlebewesen unseren Organismus besiedeln, ist von einer Reihe verschiedener Faktoren abhängig. So spielen neben bestimmten Umweltfaktoren natürlich unsere Gene eine Rolle, aber auch zum Beispiel die Anzahl der Geschwister, die Hygienebedingungen, Infektionen, eingenommene Medikamente, Stress und wie viel man sich bewegt. Neuesten Studien zufolge kommen wir sogar schon im Mutterleib mit den Mikroorganismen der Mutter in Kontakt.

Die Darmwände sind zugleich die effektivste Verteidigungslinie unseres Organismus. Eine große Zahl von Abwehrzellen ist dort direkt mit dem Bauchhirn verbunden. Sie lernen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, die Informationen werden gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Auch schützen sie uns davor, dass jene hilfreichen Mikroorganismen, die unseren Darm in Symbiose bevölkern und in ihrer Gesamtheit einen Teil des Mikrobioms bilden, ebenso wenig in den restlichen Körper kommen, wie jene, von denen wir tagtäglich Unmengen schlucken.

Die Ernährung ist ausschlaggebend
Die Mikroben haben natürlich auch bei der Verwertung der Nahrung eine wichtige Funktion. Sie helfen nicht nur Pasta, Salat und Schokolade chemisch zu zerlegen und die Nährstoffe darin zugänglich zu machen, sie entscheiden beispielsweise auch bei der Verarbeitung von Fetten maßgeblich mit. Denn Fette können dabei in entzündungshemmende oder entzündungsfördernde Moleküle zerlegt werden. Für die Gesunderhaltung des Darms und eines vielfältigen Mikrobioms spielt gesunde Ernährung deshalb eine ausschlaggebende Rolle, denn die Mikroben können sich (und letztendlich uns) nur von dem ernähren, was im Darm landet. Je diverser unsere Darmbakterien dabei zusammengesetzt sind desto gesünder bleiben wir. Vor allem pflanzliche Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen, sowie natürliche Pro- und Präbiotika können das Mikrobiom im Darm in seinen schützenden Eigenschaften unterstützen. Essen wir abwechslungsreich und gesund, lebt eine größere Zahl unterschiedlicher Bakterien in unserem Darm, die neben einer guten Verdauung für ein gutes Bauchgefühl sorgen.

Fast Food schädigt das Mikrobiom
Tim Spector, ein britischer Epidemiologe, stellte dazu im Selbsttest fest, dass Fast Food tatsächlich schlecht für ein gesundes Mikrobiom ist. Zu Beginn seines Experiments waren etwa 3.500 verschiedene Bakterien in seinem Darm zu finden. Nach 10 Tagen reiner Fast Food-Diät waren 1.300 davon ausgestorben. Seine Empfehlung: Essen Sie 20 bis 30 verschiedene pflanzliche Lebensmittel pro Woche. Das hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach: Gemüse, Obst, Getreide, Kräuter und Nüsse (jede Nusssorte ist eine eigene Pflanze) – genießen Sie sich durch den unglaublich vielfältigen Garten der Natur und pflegen Sie so ganz einfach Ihr Mikrobiom wie ein Gärtner seine Beete.

Fazit:
Zwar bestimmt noch immer das „Kopfhirn“ unser Handeln, ein gesunder Darm scheint dabei aber eine solide Grundlage für kluge Kopfentscheidungen zu sein. Dies erklärt, wie wichtig eine gesunde Ernährungsweise (in Zusammenspiel mit der Psycho-Hygiene) ist, die schon Pfarrer Sebastian Kneipp vor fast 200 Jahren predigte.

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